top of page

Pflichtteilsrecht im Spannungsfeld von Familienkonflikten und Testierfreiheit

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Das Pflichtteilsrecht gehört zu den zentralen Instrumenten im deutschen Erbrecht – und zu den konfliktträchtigsten. Während die Testierfreiheit es ermöglicht, den Nachlass nach eigenen Vorstellungen zu regeln, setzt das Pflichtteilsrecht dieser Freiheit enge gesetzliche Grenzen.


Besonders in zerrütteten Familienverhältnissen oder bei Patchworkkonstellationen stellt sich oft die Frage: Wie weit reicht das Recht, über den eigenen Nachlass frei zu verfügen? 


Und: Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es, um Pflichtteilsansprüche zu vermeiden oder zu begrenzen?


1. Der Pflichtteilsanspruch – gesetzliches Schutzinstrument für nahe Angehörige


Nach § 2303 Abs. 1 BGB steht bestimmten Angehörigen ein Pflichtteil zu, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. Pflichtteilsberechtigt sind:


  • Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel etc.),

  • Ehegatten/eingetragene Lebenspartner,

  • Eltern des Erblassers (nur, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind).


Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist ein reiner Geldanspruch gegen die Erben – kein Anspruch auf Herausgabe einzelner Nachlassgegenstände.


2. Pflichtteilsergänzungsansprüche – Schenkungen zu Lebzeiten im Fokus


Verschenkt der Erblasser noch zu Lebzeiten wesentliche Vermögenswerte, kann dies den Pflichtteilsanspruch unterlaufen. Um dem vorzubeugen, enthält § 2325 BGB den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch.


Kernpunkte:


  • Schenkungen innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall werden berücksichtigt.

  • Es gilt die „Abschmelzungsregel“ (§ 2325 Abs. 3 BGB): Für jedes Jahr, das seit der Schenkung verstrichen ist, wird der Wert um 10 % reduziert.

  • Bei Schenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt beginnt die Frist nicht zu laufen (ständige Rechtsprechung).


Diese Regelung schafft erhebliche Rechtsunsicherheit und ist eine häufige Streitquelle bei der Pflichtteilsberechnung.


3. Enterbung und Pflichtteilsentzug – hohe rechtliche Hürden


Eine vollständige Enterbung ist durch ein Testament grundsätzlich möglich. Der Pflichtteil kann jedoch nur in engen Ausnahmefällen entzogen werden (§ 2333 BGB), etwa bei:


  • schweren Straftaten gegenüber dem Erblasser oder nahen Angehörigen,

  • schwerer Missachtung familiärer Pflichten (z. B. bei nachhaltiger Kontaktverweigerung nur unter engen Voraussetzungen),

  • dem Versuch, den Erblasser zur Testamentsänderung zu nötigen.


Die Anforderungen an den Pflichtteilsentzug sind hoch. Der Entzug muss im Testament ausdrücklich begründet werden. Die Gerichte prüfen solche Entziehungen streng – und heben sie nicht selten auf.


4. Gestaltungsmöglichkeiten zur Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen


Trotz der engen gesetzlichen Vorgaben gibt es verschiedene rechtliche Gestaltungsmittel, um Pflichtteilsansprüche zu reduzieren oder ihre wirtschaftliche Wirkung zu mildern:


🔹 Pflichtteilsverzichtsvertrag (§ 2346 BGB)

Ein freiwilliger Verzicht kann notariell beurkundet werden – oft gegen Abfindungszahlung zu Lebzeiten.


🔹 Ehegattentestamente und „Berliner Testament“

Beliebt, aber auch pflichtteilsrechtlich heikel: Kinder haben beim ersten Erbfall in der Regel einen Pflichtteilsanspruch gegenüber dem überlebenden Ehegatten – Pflichtteilsstrafklauseln können hier steuernd wirken.


🔹 Nießbrauch- und Wohnrechtsvorbehalte bei lebzeitigen Übertragungen

Diese können einer Pflichtteilsergänzung entgegenstehen, bergen aber steuerliche und rechtliche Risiken (z. B. im Hinblick auf Pflegekosten oder Rückforderungsrechte).


🔹 Testamentsvollstreckung zur Abwicklung und Sicherung

Kann helfen, den Nachlass geordnet zu verwalten und Pflichtteilsberechtigte auf Abstand zu halten – allerdings ohne Pflichtteilsanspruch an sich zu verhindern.





5. Aktuelle Rechtsprechung und Tendenzen


In den letzten Jahren hat sich die Rechtsprechung zunehmend mit der Frage beschäftigt, wie stark familiäre Konflikte oder Kontaktabbrüche gewertet werden können. Dabei zeigt sich:Selbst ein über Jahre bestehender Kontaktabbruch reicht nicht automatisch für einen Pflichtteilsentzug. Entscheidend ist das Verhalten des Berechtigten – nicht allein die Beziehungsqualität.


Zudem rücken Fragen zur Bewertung von Schenkungen (z. B. Immobilien in steigendem Marktumfeld) immer stärker in den Fokus. Gutachten spielen hier eine zentrale Rolle in gerichtlichen Auseinandersetzungen.


Fazit: Pflichtteilsrecht – Schutzrecht mit Sprengkraft


Das Pflichtteilsrecht schützt nahe Angehörige – schafft aber oft erhebliche rechtliche und emotionale Konflikte. Für Erblasser, die ihre Nachfolge bewusst gestalten wollen, ist eine frühzeitige und rechtlich fundierte Nachlassplanung unerlässlich. Anwaltliche Beratung hilft, sowohl die eigenen Wünsche umzusetzen als auch spätere Streitigkeiten zu vermeiden.

bottom of page